Um die Vision der Gigabit-Gesellschaft zu realisieren, müssen alle Akteure an einem Strang ziehen: Bürger, Telekommunikationsunternehmen und die Politik können es nur gemeinsam schaffen.

Bürgerschaftliches Engagement ist dabei ein wichtiger Baustein für den Erfolg von FTTH-Projekten. Viele Bürger sind mit der aktuellen Versorgungslage in ihrer Gemeinde nicht zufrieden – insbesondere in den ländlichen Regionen. Vielerorts schließen sich engagierte Bürger zu Bürgerinitiativen zusammen und greifen selbst zum Kabelpflug. In Absprache mit der Gemeinde und den Telekommunikationsunternehmen verlegen sie Leerrohre, um die Kosten für den Tiefbau zu senken – den größten Kostenfaktor beim Breitbandausbau. Gleichzeitig betrieben diese Bürgerinitiativen intensive Aufklärungsarbeit über die Vorteile der Glasfasertechnologie.

Auch die NRW Landespolitik hat dieses Engagement erkannt und einen Antrag eingebracht, mit dem Ziel ”Bürgerschaftliches Engagement beim Breitbandausbau zu unterstützen.” Der komplette Antrag, der gemeinsam von CDU und FDP gestellt wurde, kann hier nachgelesen werden. Dieser Antrag wurde in der 23. Plenarsitzung vom 22.03.2018 debattiert und anschließend angenommen. Interessierte Leser können sich hier das Video der Plenarsitzung ansehen (ab ca. 05:46 (Std:Min))

Mit Freude habe ich festgestellt, dass die eigene Bürgerinitiative “Glasfaser für Kerken” als positives Beispiel im Antrag genannt wurde, indem wir als “ … Bürgerinitiative den Projektablauf zur Nachfragebündelung durch Beratung der Bürger aktiv unterstützte. …”. In der Tat, Aufklärungsarbeit haben wir sehr intensiv betrieben – mit Erfolg. Am Ende konnte die von der Deutschen Glasfaser geforderte Quote von 40 % in beiden Ortsteilen erreicht werden.

Von unseren eigenen Erfahrungen profitieren auch die umliegenden Bürgerinitiativen im Kreis Kleve. Die Vernetzung der Bürgerinitiativen und der kontinuierliche Erfahrungsaustausch untereinander war ein Schlüssel zum Erfolg. Denn die Fragen und Sorgen der Bürger zum Thema Glasfaser sind stets vergleichbar.

Aus den Erfahrungen der verschiedenen Bürgerinitiativen entstand der Praxisleitfaden „Glasfaser für Dich!„. Über diese Artikelserie wurde bereits seitens Gigabit.NRW (vormals Breitband.NRW) als nachahmenswertes Beispiel aus der Praxis berichtet.

Über eine Anfrage an Dr. Günther Bergmann (CDU), Florian Braun (CDU) und Marcel Hafke (FDP) wurde ich Ende April zum Erfahrungsaustausch über das Thema “Bürgerinitiativen” in den Landtag NRW eingeladen. Weitere Teilnehmer waren Rainer Matheisen (FDP) und Valerie Röhrig (CDU).

Die Erfahrungen aus den Gesprächen mit Bürgern zum Thema Glasfaser zeigen immer wieder die gleichen Problemfelder auf:

Vectoring ist doch auch Glasfaser: Die Technologien “Vectoring” und “FTTH” werden von vielen Bürgern als “Glasfaser” gleichgesetzt. Dabei endet beim Vectoring die Glasfaser im Straßenverteiler und die letzten Meter werden auf Kupfer zurückgelegt. Lediglich bei FTTH/FTTB wird die Glasfaser bis in Haus bzw. Wohnung gelegt – die einzig zukunftssichere Lösung.

sehr große Preissensitivität: Selbst ein geringer Preisaufschlag im Vergleich zum eigenen aktuellen DSL-Tarif wird schwer akzeptiert. Auch wenn das Verhältnis “EUR/MBits” in der Regel für die Glasfaser ausfällt. Hinzu kommt noch, dass die Tarife bei FTTH symmetrische Datenraten anbieten. Also gleich schnell im Up- wie Download. Ein weiterer Pluspunkt für die Glasfaser.

„16 MBit/s reichen mir“: Die Notwendigkeit des Glasfaserausbaus ist nur sehr schwer zu vermitteln. Für eine Vielzahl von Bürgern reichen aktuell auch geringe Datenraten. Der Weitblick für kontinuierlich immer weiter steigende Datenraten für die kommenden Anwendungen ist nicht vorhanden. Im Moment ist alles OK – es besteht aus Sicht der Bürger kein Handlungsbedarf. Die Wünsche der Industrie nach schnellen Internetanschlüssen spielen für Privathaushalte bestenfalls eine untergeordnete Rolle.

„Ich habe 50 MBit/s, das reicht nun wirklich“: Je besser eine Gemeinde bezüglich Breitband schon heute ausgebaut ist, desto schwieriger wird insbesondere der privatwirtschaftliche Ausbau. Zugegebenermaßen sind 50 MBit/s auch für aktuelle Anwendungen durchaus praxistauglich. Auch hier wird ein gewisser visionärer Weitblick gefordert, um sich trotzdem schon heute für einen reinrassigen FTTH-Glasfaseranschluss zu entscheiden.

 

Um das Thema Glasfaser trotz aller Schwierigkeiten dennoch zum Erfolg zu führen, zeigten sich in verschiedenen Bürgerinitiativen folgende Lösungsansätze als hilfreich und oftmals zielführend:

Prio 1 – Sorgen und Bedenken ausräumen: Für viele Mitbürger ist die neue Technik fremd, da diese auf den ersten Blick ganz anders funktioniert, als das über Jahrzehnte bekannte Kupferkabel. Zudem muss “die Straße aufgerissen werden” und “ein Loch ins Haus gebohrt” werden. Abgesehen von den technischen Fragen: Wenn Freunde oder Enkel den Internetanschluss mühevoll konfiguriert haben, dann “… geht da auch keiner mehr ran! – Denn sonst läuft wieder was nicht.”
Hinzu kommt noch eventuell neue Hardware (z. B. Router) und was passiert eigentlich mit der alten Rufnummer und überhaupt… kann ich mein Schnurlostelefon überhaupt an so einem modernen Anschluss noch nutzen? Und ganz wichtig: “Doppelt bezahlen – das geht schonmal gar nicht!”.
Eine detaillierte Aufklärung seitens der lokalen Bürgerinitiativen ist hier unumgänglich und überzeugt am Ende oftmals auch zunächst sehr kritische Mitbürger. Trotzdem ist diese “Einzelfallbearbeitung” sehr, sehr zeitintensiv.

Aufklärung über die Technik: Vectoring vs. FTTH – Viele Bürger werfen beide Technologien in einen Topf “Glasfaser”. Dabei ist die Glasfaser in Form von FTTH / FTTB die deutlich leistungsstärkere und zukunftssicherere Technologie. Die Werbung der (Kupfer)-Kabelanbieter ist – freundliche formuliert – “verwirrend in der Aussage”. Denn bei einem Vectoring-DSL-Anschluss wird kein Kunde jemals eine Glasfaser in seinem Haus bzw. Wohnung vorfinden. Egal wie oft die Marketingabteilung des entsprechenden Telekommunikationsunternehmens auch das Wort “Glasfaser” in der Werbung verwendet.

Zukunft der eigenen Gemeinde: Das Internet ist längst ein Bestandteil des Lebens geworden. Speziell auf dem Land bietet ein leistungsfähiger Internetanschluss die Möglichkeit am modernen Leben teilzuhaben. In diesem Kontext spricht man oftmals von der “Dableibevorsorge”. Speziell der jüngeren Bevölkerung ist es sehr wichtig einen schnellen Internetanschluss nutzen zu können. Viele Vermieter in den ländlichen Regionen erleben schon heute, dass ein langsamer Internetanschluss ein K.O.-Kriterium in der Vermietung ist. Hier ist es hilfreich die Vision für die Zukunft der eigenen Gemeinde aufzuzeigen. FTTH wird in den kommenden Jahren DER Standortvorteil in den ländlichen Regionen sein. Ansonsten setzt sich eine Abwärtsspirale aus Abwanderung der Bevölkerung und der Verlagerung von Firmenstandorten in Gang, welcher einmal begonnen, kaum noch aufzuhalten ist.

Anwendungen der Zukunft: Telemedizin ist speziell für die älteren Mitbürger ein interessantes Thema. In ländlichen Region kommt oftmals noch ein Mangel an Ärzten hinzu. Ein breitbandiger Internetanschluss ist die Basis für die Anwendung in der Zukunft. Ein weiteres Szenario in diesem Kontext ist das “HomeOffice”. Ohne eine breitbandige Anbindung ist eine sinnvolle Arbeit von daheim aber erst gar nicht möglich. Die zu verarbeiten Datenmengen wachsen seit Jahren ebenfalls kontinuierlich. Wenn die Politik bei diesem Thema in Zukunft die richtigen Weichen stellt, kann das HomeOffice zusätzlich ein aktiver Beitrag zum Umweltschutz werden.

Vertrauensvorsprung Bürgerinitiativen: Bei der Bevölkerung genießen die Bürgerinitiativen großes Vertrauen. Sie engagieren sich für das Wohl und die Zukunft der eigenen Gemeinde und kommen aus den eigenen Reihen. Im Gegensatz zu den Telekommunikationsunternehmen müssen sie nichts verkaufen. Das schafft Vertrauen und erleichtert die Aufklärungsarbeit. In der Regel arbeiten alle Mitglieder der Bürgerinitiativen ehrenamtlich und investieren viel freie Zeit und Arbeit in das Thema. Umso besser, dass die Politik hier unterstützen möchte.

 

Wie kann die Politik helfen?

Es wäre Verschwendung, das Potential und das Engagement der Bürgerinitiativen für den Glasfaserausbau nicht auszuschöpfen. Was kann der Politik besseres passieren, als das sich Bürger ehrenamtlich engagieren und dies auch noch für ein gesellschaftlich so wichtiges Ziel?

Zunächst ist es die Aufgabe der Politik die passenden politischen Rahmenbedingungen für einen erfolgreichen Glasfaserausbau zu schaffen. Zusätzlich kann den Bürgerinitiativen in mehrfacher Weise geholfen werden:

intensive Aufklärungsarbeit: Deutlich mehr Aufklärungsarbeit über die Vorteile der Glasfaser und der Notwendigkeit des Glasfaserausbaus. Erläuterung der technischen Unterschiede zwischen Vectoring und Glasfaser, beispielsweise über eine eigene Sektion “Bürgeraufklärung” bei Gigabit.NRW (ehemals Breitband.NRW)

Mittel bereitstellen: Bereitstellung von Infrastruktur wie Leerrohre und Glasfaser

Erfahrungsaustausch fördern: Einführung einer Plattform zum Erfahrungsaustausch mit bereits erfolgreichen Bürgerinitiativen. So kann vermieden werden, dass bei jedem Projekt das Rad von Neuem erfunden wird

Glasfaser greifbar machen: Aufbau von Demozentren, wo sich Bürger selbst von der Geschwindigkeit eines Glasfaseranschlusses überzeugen können. Viele Bürger haben kein Gefühl dafür, wie sich dieser Geschwindigkeitsvorteil „anfühlt“

Die konkreten Lösungen und Unterstützungen für die FTTH-Projekte vor Ort sollten pragmatisch gehandhabt werden, unbürokratisch und schnell zu beauftragen bzw. abzurufen sein. Die zur Verfügung stehende Zeit der Bürger ist viel zu kurz, um sich mit langwierigen Anträgen im Detail zu verzetteln. Zudem finden all diese Aktivitäten in der Freizeit der Mitbürger statt.

Wichtigstes Fazit aus dem Gespräch: Die Aufklärungsarbeit für das Thema Glasfaser ist unerlässlich um das Ziel der Gigabit-Gesellschaft Realität werden zu lassen. Dies gilt speziell für den privatwirtschaftlichen Ausbau, wenn aus Bürgern auch zahlende Kunden werden sollen – hier muss die Notwendigkeit für den Glasfaserausbau in Form von FTTH / FTTB den Bürgern klar und deutlich vermittelt werden.

Alle Gesprächsteilnehmer bleiben weiter im Dialog, um Wege zu ebnen, das bürgerschaftliche Engagement beim Glasfaserausbau nachhaltig zu unterstützen und zu fördern. Ein erster Schritt könnte sein, den Wissenstransfer über die Erfahrungen der verschiedenen Bürgerinitiativen mit Gigabit.NRW zu initiieren.

Praxisbeispiel

Das ARD-Morgenmagazin berichtete am 04.05.2018 über ein Bürgerbreitbandprojekt im Kreis Coesfeld.

Hier der Link zum Video
(Video verfügbar bis 04.05.2019)