Herbst 2009 – schnell mal eben von der Baustelle zum T-Punkt, einen Telefonanschluss für unser im Bau befindliches Haus beauftragen. Wir waren früh dabei – ca. 100 Grundstücke sind in unserem Neubaugebiet. Die typische Altersklasse der Bauherren beträgt zwischen Mitte 30 bis Ende 40. Bei statistischen 1,4 Kindern in Deutschland werden rund 140 Kinder noch Leben ins Neubaugebiet zaubern – und später alle im Internet sein!
Eine Vielzahl der neuen Nachbarn wird zum Arbeitsplatz pendeln, Krefeld ist um die Ecke, Düsseldorf rund 50 km entfernt. Dort arbeite auch ich – HomeOffice ist zum Glück relativ problemlos möglich, dann entfällt auch die lästige Fahrerei, welche von Jahr zu Jahr schlimmer wird.
Damals war die gesamte Straße im Baugebiet aufgerissen, eine Baustelle halt. Meine Idee: Aktuell ist alles frei zugänglich, ob mir die Mannschaft der Telekom Kupfer oder Glasfaser legt, kommt auf’s Gleiche raus.
Und das muss auch in den deren Interesse sein, gleich alles in Glasfaser auszuführen. Dann ist erstmal 20 Jahre ruhe. OK, falls es ein paar Euro mehr kostet, übernehme ich diese auch noch – Hauptsache ich habe feinste Technik und richtig Dampf auf der Leitung.
Im T-Punkt angekommen trage ich mit glänzenden Augen mein Anliegen vor – und die Ernüchterung folgt auf dem Fuß. “Was bitte wollen Sie? Glasfaser? Für privat? Nein, so etwas können Sie nicht beauftragen.” Meine Argumente verhallen im Raum: Wieso nicht? Der Verteiler für das Baugebiet ist sowieso mit Glasfaser angebunden, die Straße ist komplett aufgerissen, ob da nun Kupfer oder Glasfaser reinkommt ist egal. Und die Mehrkosten würde ich ja auch tragen.
Stille zwischen dem Verkäufer und mir – ich kam mir vor wie ein Außerirdischer von einem anderen Planeten. Sorry, das geht leider nicht. Ich ziehe ziemlich geknickt von dannen, das hatte ich mir ganz anders vorgestellt. Ich glaube, ich bin ein paar Jahre zu früh dran.
Für einige hunderte Euro bekomme ich ein paar Monate später ein klassisches Kupferkabel ins Haus geliefert. Zukunft sieht anders aus, aber im Gegensatz zu meinen Mitbürgern wohne ich im “gelobten Land”. Inzwischen mit VDSL50 in stabiler Qualität – ich war mit dem Status Quo zufrieden. 98 % der Mitbürger in meiner Gemeinde hätten sich die Finger danach geleckt.
7 Jahre später
Sommer 2016: Ein Flyer der Deutschen Glasfaser flattert ins Haus. FTTH – Glasfaser bis in Haus? Bei uns auf’m Dorf? Für 34,95 €? Genial, DAS will ich haben! Kleingedrucktes… nix besonderes… oh prima, keine doppelten Kosten mit dem vorhandenen Anschluss. Nice to have, ich beauftrage es sowieso.
Ich hätte es auch für den doppelten Preis genommen, auf die Technik habe ich gewartet – seit mindestens 7 Jahren! Voraussetzung ist allerdings, dass sich 40 % aller Haushalte in Kerken für einen solchen Glasfaseranschluss entscheiden.
Aber das sollte machbar sein – wie oft habe ich schon gehört wie schlecht der Internetanschluss ist und alles so träge und langsam sei. Mit solch einem FTTH-Anschluss wäre das Problem gelöst – und zwar für sehr lange Zeit.
Also ab zum Infoabend und sich informieren. Der Saal ist voll, ein gemischtes Publikum. “Natürlich” sind ein paar Tekkis und Nerds dabei, aber die Masse besteht aus den interessierten Bürgern. Erfreulicherweise auch einen Großteil der “Ü50”-Generation, das Thema ist also angekommen.
Der Vortrag beginnt – reges Interesse im Publikum, vereinzelte Rückfragen zum Projektablauf. Alles gut.
Doch was war das? Kritische Stimmen?
Ein Loch ins Haus bohren geht gar nicht? Ja, natürlich, wie soll denn sonst das neue Glasfaserkabel in Haus kommen? Beamen?
5 EUR Aufpreis sind zu viel? HALLO?! Dafür bekommst Du feinste Technik und richtig Dampf auf die Leitung!
Die Telefonkosten sind zu hoch? Für ein paar Euro Aufpreis gibt’s eine Flatrate! Fertig. Nächstes Thema! Was noch?
Nicht dass die Stimmung wirklich kippte, aber zwei Dinge waren mir sofort klar:
- Das wird kein Selbstläufer – um die 40 % zu erreichen bedarf es aktiver Unterstützung.
- Wenn wir es nicht jetzt mit der Deutschen Glasfaser schaffen, dann kommt auch die nächsten 10 Jahre niemand mehr vorbei. Warum auch? Unsere Gemeinde hätte eindrucksvoll bewiesen, dass sie kein Interesse an FTTH hat.
Die Idee zur Bürgerinitiative “Glasfaser für Kerken” war noch am selben Abend geboren. Das müssen wir Bürger selbst in die Hand nehmen!
Es folgten 6 Monate sehr intensive Arbeit, stundenlange Gespräche mit vielen Bürgern, dutzende Posting, Facebook Moderation, Bürgersprechstunden und mehrere Hundert WhatsApp-Nachrichten in der internen WhatsApp-Gruppe “Glasfaser für Kerken”.
Die Geschichte der Bürgerinitiative “Glasfaser für Kerken” kann man hier in voller Länge nacherleben.
Erfreulicherweise eine Geschichte mit Happy End: Mit 42 % für den Ortsteil Aldekerk und 40 % für den Ortsteil Nieukerk haben wir das geforderte Ziel erreicht – beide Ortsteile erhalten im Laufe des Jahres 2017 eine Glasfaser-Infrastruktur der Deutschen Glasfaser.
Beam me up scotty
Unsere Gemeinde Kerken ist sicherlich ein gutes Beispiel wie bürgerschaftliches Engagement den Glasfaserausbau aktiv vorantreibt. Wir Bürger haben diese einmalige Chance ergriffen und nehmen es in die eigene Hand, treiben das Thema aktiv voran und finden uns mit der aktuellen Situation nicht ab.
Aber nicht alle Bürger sind so euphorisch wie wir und eher skeptisch dem Thema gegenüber eingestellt. Für viele Bürger hat die Glasfasertechnik etwas von Raumschiff Enterprise. Datenübertragung mit Licht? “Beam me up Scotty!”
Dabei kann man es nicht mal am Alter festmachen, wir haben auch junge Mitbürger kennengelernt die mit dem Thema “Glasfaser” nichts anfangen konnten.
Und viele Bürger sind auch froh, dass der “Technik-Kram” überhaupt funktioniert. Computer, Tablet, Smartphone, WLAN, DSL, Router, Windows, E-Mail, Browser – endlich läuft das ganze Zeugs halbwegs. Dem Freund, Nachbarn, Sohn oder Enkel sei Dank.
Jetzt was ändern? Bloß nicht, dann geht der Irrsinn wieder von vorne los. Finger weg!
Sind die Grundsatzfragen geklärt, geht der Spaß erst richtig los. Beispiele gefällig?
“Waaaas… das kostet 5 EUR mehr gegenüber dem aktuellen Internet-Anbieter? Auf keinen Fall – ich zahl nicht mehr als jetzt!”
“‘Sky’ haben die nicht im Programm? Keine Bundesliga? Kannste’ vergessen – ohne mich!”
“Die müssen ein Loch im Garten graben? 40 x40 cm? No way – habe erst letztes Jahr neue Blumenzwiebeln gesetzt! Lass mal lieber!”
“Die Telekom legt doch auch Glasfaser, habe ich gehört… bis da vorne an der Ecke… und die brauchen auch kein neues Kabel … haben die mir gesagt! Da bleib’ ich lieber bei denen!”
Da müssen viele Antworten auf viele Fragen gegeben werden – ein Full-Time-Job für die Mannschaft einer Bürgerinitiative.
Bürgerinitiativen sind ein Erfolgsfaktor für FTTH
Schon auf der ersten Infoveranstaltung wies die Deutsche Glasfaser selbst auf die Bürgerinitiativen als einen entscheidenden Erfolgsfaktoren hin. Sinngemäß: Die hauseigene Marketingmaschine schafft 20 % – 25 % über Werbung, Flyer, Infoveranstaltungen. Der Rest kommt “von den Bürgern”.
Unsere Arbeit als Bürgerinitiative war so erfolgreich, dass wir von Bürgern der umliegenden Gemeinden um Hilfestellung bei der Erreichung der 40 % Quote in deren Gemeinde gebeten wurden. Dort dümpelte die Nachfragequote zum damaligem Zeitpunkt bei unter 20 %.
Bei der Unterstützung unserer Nachbargemeinden wurde klar – die Probleme sind überall die Gleichen. Skeptische Bürger, deren Sorgen um aufgerissene Vorgärten und Straßen, wenig technisches Verständnis und am schlimmsten – die Notwendigkeit für den Aufbau eines Glasfasernetzes ist sehr schwer zu vermitteln. Insbesondere wenn “die Schmerzen” durch eine schlechte Internetanbindung nicht wirklich groß sind – Tenor: “16 MBit/s reichen mir – mehr brauch’ ich nicht!” – Ein wirklich zähes Geschäft.
Kein Projekt aus Nächstenliebe
Aber eine Sache ist auch klar – solche FTTH-Projekte führen die Unternehmen nicht aus reiner Nächstenliebe gegenüber den “notleidenden Bürgern” mit schlechter Internetanbindung durch. Es geht um handfeste finanzielle Interessen, monatliche Umsätze, Gewinnmargen, Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen bei der Planung der Ausbaugebiete und millionenschwere Investitionssummen.
Im Fall der Technik Glasfaser herrscht auch so etwas wie “Goldgräberstimmung”. Die FTTH-Technik ist Stand heute die bestmögliche Technik im Bereich der Internetanbindung und wird die dominierende Technik der nächsten Jahrzehnte werden.
Die Bürger, die bereits heute Kunden sind, werden auch in Zukunft bei dieser Technik bleiben. Ich bin davon überzeugt: Wer die Technik und die Vorteile der Glasfaser kennengelernt hat, wird nicht mehr auf Kupfer oder Koax zurückwechseln – auch wenn es technisch möglich wäre!
Der Vorteil der Glasfaser schlechthin ist die hohe Bandbreite: 100 MBit/s sind der Standard, 200 MBit/s mit geringem Aufpreis möglich. Im konkreten Fall der Deutschen Glasfaser ist die Technik bis 1.000 MBit/s spezifiziert, was aber lediglich den Inhouse-Komponenten geschuldet ist, die auch heute mit Standard-Netzwerk-Technik auf Kupferbasis realisiert werden.
Mit geringem Aufwand und Tausch weniger Komponenten (in der Verteilung und beim Kunden im Haus) lässt sich die nächste Geschwindigkeitsstufe praktisch von heute auf morgen realisieren.
Das Wichtigste wird dann sein: Die eigentliche Glasfaser bleibt unangetastet im Boden – für die kommenden Ausbaustufen sind keine neuen Erdarbeiten notwendig!
In einer paar Jahren werden 1.000 MBit/s der neue Standard sein – und die Glasfaser kann noch viel mehr!
Aus Sicht der Anbieter ist es in der Hauptsache eine große Rechenaufgabe – insbesondere beim privatwirtschaftlichen Ausbau ohne staatliche Fördermittel.
Welche Gemeinde hat eine schlechte Internetanbindung? Wie lassen sich Straßenzüge geografisch zu Ausbaugebieten zusammenfassen? Bis zu welchem Bauernhof wird Glasfaser gelegt, damit es sich noch rechnet? Wie viele zahlende Kunden werden benötigt um wirtschaftlich eine Glasfaser-Infrastruktur zu realisieren? Wie schaut die Altersstruktur vor Ort aus? Was plant die Konkurrenz vor Ort? Wurden bereits Fördermittel eingesetzt oder beantragt?
Viele Fragen sind zu klären und dies unabhängig vom konkreten Anbieter. Ein gutes Stichwort: Anbieterneutralität!
Wer es macht ist egal – Hauptsache FTTH!
In unserem Projekt “Glasfaser für Kerken” haben wir als Bürgerinitiative von Beginn an und immer wieder betont, dass wir anbieterneutral sind. Grundsätzlich war es uns egal, wer uns einen Glasfaseranschluss legt. Bei uns vor Ort kamen die Deutsche Telekom oder die Deutsche Glasfaser in Frage.
Aber die geforderte Technik war definitiv gesetzt wie das Motto hier im Blog: “FTTH – 100 % Glasfaser”. Wir sahen schlicht keinen Sinn darin etwas anderes anzuvisieren als eine langfristige und nachhaltige Infrastruktur auf Basis von FTTH – Glasfaser bis in Haus. Jeder Haushalt soll seinen eigenen Glasfaseranschluss bekommen.
Zugegebenermaßen war es für uns als Bürgerinitiative relativ einfach uns diese Anbieterneutralität auf die Fahne zu schreiben – außer der Deutschen Glasfaser gab es keinen anderen Anbieter für FTTH.
Auch 7 Jahre nach meiner Anfrage beim T-Punkt war es nicht möglich über die Telekom einen FTTH-Anschluss zu bekommen – und für unsere Region plante es die Deutsche Telekom auch nicht, wie bei einer eigenen Infoveranstaltung unumwunden zugegeben wurde.
Wenn überhaupt noch investiert wird, dann weiter in Kupfer.
Wow! – Was für eine Zukunftsperspektive für unsere Gemeinde.
Das liebe Geld
Schon früh im Projektverlauf sahen wir als Bürgerinitiative ein düsteres Szenario am Himmel aufziehen. Trotz vollen Einsatzes aller Beteiligten fehlen am Ende möglicherweise ein paar Prozentpunkte bis zur geforderten 40 %-Marke. Die Deutsche Glasfaser zieht ab, die Arbeit war umsonst und wir bekommen kein Glasfaser-Netz. Und die nächsten 10 Jahre kommt auch niemand mehr.
Also haben wir uns an die Politik gewandt und nach “unkonventionellen” Lösungen gefragt.
Dem Thema “Politik” widme ich noch einen separaten Teil (Teil 9 dieser Artikelserie) daher hier die Kurzversion:
Alle Beteiligen in der Lokalpolitik, auf Landes- und Bundesebene waren sehr freundlich, hatten stets ein offenes Ohr und viele nette Worte. Aber sobald es um das Thema Geld ging, war der Spaß schlagartig vorbei – 0 (Null) Euro Zusage von niemandem. Leider verhindert die Bürokratie unbürokratische Lösungen.
Fazit
Ihr wollt Glasfaser bei euch vor Ort? Dann nehmt es selbst in die Hand. Niemand außer Euch wird es am Ende richten. Schließt euch als Bürger zusammen und gründet eine Bürgerinitiative.
Zeigt euren Mitbürgern vor Ort, dass dort Menschen sind, die sich für das Thema engagieren und voll hinter Glasfaser per FTTH stehen. Zeigt auch den Glasfaseranbietern, dass ihr euch für das Thema interessiert.
Aber Vorsicht! Es ist richtige Arbeit – und das bis zum Schluss.
Glasfaser ist eine Spitzentechnologie und sie ist die Zukunft, aber dies alleine reicht nicht aus. Sie wird wird nicht von alleine kommen. Die Bürger müssen die Technik annehmen, denn nur mit zahlenden Kunden rechnen sich solch große Investitionen langfristig.
Aber es lohnt sich! Ist es erst einmal geschafft, dann ist mit Technik FTTH für die (geschätzten) nächsten 20 Jahre Ruhe beim Thema Bandbreite in Deiner Gemeinde.
Ihr seid bereits in einer Bürgerinitiative oder ähnlich organisiert?
Oder ihr plant eine Bürgerinitiative zu gründen um den FTTH-Ausbau vor Ort voranzutreiben?
Prima! Dann lasst euch in die Projektübersicht hier bei FTTH.blog aufnehmen!
Füllt das Formular mit den wichtigsten Rahmendaten aus.
Ich werde mich umgehend bei Euch melden.
[…] der Link zum Artikel. Auch die anderen Artikel des Blogs sind […]